December 09, 2009

Roland Schefferski (1)

Christoph Rasch:
EIN MOSAIK AUS ERINNERUNGEN

ursprünglich erschienen als: A mosaic of memories from the historical remains collected by Roland Schefferski, in: Mare Articum - The Baltic Art Magazine, Issue 1-2 [4], hrsg. v. Wydawnictwo 13 Muz, Szczecin/Polen 1999, S. 54-57

Die Geschichte unserer Welt breitet sich als Stickdeckchen im heimeligen Wohnzimmer aus, knistert als Banknote im Portemonnaie oder lächelt mokant von den vergilbten Fotografien längst begrabener Urahnen.

Wenn sich auf Omas Decke mit den aufgestickten Tugenden plötzlich auch "Geld" und "Sex" finden, wenn vergoldete Medaillons die Collagen von Zloty aus sozialistischen Tagen einfassen, wenn die Bilderrahmen bis auf einen schmalen Streifen der erwarteten Fotografie leer bleiben, so macht das durchaus Sinn. Denn "Geschichte", ihre Darstellung und ihre Interpretation ist vor allem immer eines - paradox.

Die historischen Paradoxien, ihre Irrfahrten und ihre Ironie sind zum Generalthema Roland Schefferskis geworden, der seit nunmehr fünf Jahren Geschichte(n) nicht neu erfindet, sondern - finden lässt. Der 1956 in Katowice geborene Künstler, der an der Hochschule für Bildende Künste in Wroclaw studierte und lehrte und der seit 1984 als freier Künstler in Berlin-Kreuzberg lebt, legt dabei sein Hauptaugenmerk auf den historischen Alltag. Den dokumentiert er mit dessen eigenen Fundstücken. Auf der Basis von ganz profanen Materialien, die dieser "Alltag" - der stets einem gesellschaftlichen System untergegliedert ist - am Ende ausscheidet: Geschirr, Schmuck, Kleidung. Abgenutzte, abgelegte Gebrauchsgegenstände, persönlicher wie allgemeiner Art - es sind Dinge wie diese, die Schefferski in ihrer "informationstragenden Funktion" begeistern. Weil sie die Brücke zum einstigen Nutzer oder Besitzer schlagen, von dem alle sonstigen Spuren längst verweht sind. Für Künstler ist dies nicht mehr und nicht weniger als eben "Die Geschichte unserer Welt".

Ein zufällig entdecktes gleichnamiges Geschichtsbuch gibt die Anregung zum Titel. Schefferski arrangiert die Überreste neu, zerbricht, zerschneidet, bestickt - verwirrend, verstörend im Ergebnis. Mit diesem bleibt er jedoch dem Galeriebetrieb weitgehend fern. Seine Ausstellungsorte sind Privatwohnungen, Trödel- und Antiquitätenläden und Buchläden, kein Plakat, kein Schild weist auf die Exponate hin. Die Werke müssen - in ihrer auf den ersten Blick recht homogenen Umgebung - im wahrsten Sinne "entdeckt" werden.

Bewusste Deplacierung, erklärt der Künstler, gebe ihm die Chance "zu prüfen, ob tatsächlich erst die Umgebung, in der sich die Arbeiten befinden, ihren möglichen Kunststatus konstituiert." Oder der Frage zu stellen, die ein Kritiker formulierte: "Wenn im Museum aus Nichtkunst Kunst wird, wird dann in einem Trödelladen aus Kunst Nichtkunst?" (1)

Wiedergewonnen aus dem Gedächtnis, 1993

Die als Serie konzipierte Flucht aus dem weißgetünchten, halogenbestrahlten Mikrokosmos der Galerien begann einst in der westdeutschen Provinz, und zwar in einer kommerziellen Galerie. "Habseligkeiten" in Münster simulierte einen Wohnraum, dessen Bewohner ihn als Schattenprofile auf Stoffen durchschweben. Zurück in seiner Wahlheimat Berlin wurde "Wiedergewonnen aus dem Gedächtnis" 1993/94 dann aber zur ersten Gestaltung eines kompletten Raumes einer Berliner Künstlerwohnung. Der private Raum als Gegenentwurf zu den Konventionen und Kompromissen der Galerie erfuhr damals allgemein eine Renaissance. Mit dem Unterschied, dass nur wenige Künstler, darunter Schefferski, auf die angetroffene unkonventionelle Umgebung eingegangen sind.

Das von Schefferski mitgebrachte Mobiliar stellt die familiäre, heimelige Grundlage für seine Exponate, mit Personen auf photographisch bearbeiteten Porzellanplatten. Auch das "Vergessen" wird in der Form leerer Gläser bedacht. Abgeschirmt durch ein wiederum mit menschlichen Umrissen besticktes Vorhangs-System entsteht eine intime "Dunkelkammer der Erinnerung". (2)

Im Laufe der Jahre variiert Schefferski sein Konzept, nicht nur Objektkunst in alltägliche Räume zu integrieren, sondern auch den Ausstellungsort selbst zu transformieren. In den vorangegangen Schein-Wohnräumen reflektieren die manipulierten Möbel und Objekte das Leben ihrer Besitzer. In der Installation „Berliner Zimmer“ (1994/95) durchbricht Schefferski dabei die reine „Privatsphäre“ der mit gutbürgerlicher Firniss überzogenen Einrichtung. Das Objekt "Schau mal dahinter" (1994) enttarnt sich etwa selbst: Das bürgerlich-biedere Vertiko ist auf seiner Rückseite mit Ausgaben des "Völkischen Beobachters" versehen. Die Verweise und Bezüge auf den Menschen im autoritären System sollen sich noch verstärken. Schefferski sucht nach einer Entmythisierung der Geschichte. "Die Systeme ändern sich in ihren Erscheinungsformen", sagt er, der der Volksrepublik Polen 1984 den Rücken kehrte und sich seitdem als Wanderer zwischen den Welten versteht. "Aber", fügt er hinzu, "die Gesellschaft bleibt in ihren Grundprinzipien gleich."

Zur selben Zeit, als sein Landsmann Zbigniew Libera mit seinem knallig-provokativen LEGO-Bausatz eines Konzentrationslagers nicht nur in Deutschland heiß diskutiert wurde, macht sich Schefferski an die Fortsetzung seiner in den Nischen und Winkeln des menschlichen Strandgutes versteckten "Geschichte unserer Welt". Schefferski kehrt 1996 aus der Wohnsimulation in den öffentlichen Raum zurück, in einen Warschauer Lesesaal, wo einmal mehr ein Leitmotiv seiner Arbeit dominiert: die auf Stoffe, Vorhänge, Jacken und Mäntel gestickte Silhouette des realen oder fiktiven Besitzers.

Zehn Gebote, 1997

Ausgelöschte Bilder, 1997-98, Detail

Die Präsentation seiner historischen Alltagsassemblagen in der "versteckten Öffentlichkeit" setzt Schefferski schließlich, 1997, in seiner unmittelbaren Nachbarschaft um - in einem Kreuzberger Trödelladen, der sich auf den Verkauf von DDR-Devotionalien spezialisiert hat. Das gediegene Bürgermöbel residierte hier direkt neben dem letzten Aufgebot dessen, was die DDR an staatstragenden Symbolen so absonderte, vom Ölporträt Wladimir Iljitsch Lenins über die blauen Pionierhemden bis zum Parteiwimpel. Dazwischen: 16 Exponate Schefferskis, subtile und krasse Abstraktionen der Agitprop-Ware aus DDR und Nazizeit, versetzt mit biographischen Elementen aus dem Familienalbum: aus dem mit Zinnsoldaten spielenden Knaben wird der Träger einer SS-Uniform. Karl-Marx-Porträts werden übereinandergelegt zu den "Zehn Geboten". Und: "Ausgelöschte Bilder". Leere Fotorahmen, nur an den abgeschnittenen Rändern der Fotografien lässt sich deren Motiv erahnen. Schefferski nutzte bislang Fotografie als "Erscheinung eines vergangenen Wirklichen, die in den Bereich des Magischen, der Verschwörung gehört". (3) Der erhaltene dokumentarische Charakter weicht nun durch das Fehlen des Bildausschnitts ganz einer sehr persönlichen Mystik.

Eine Familie, 1997

Im Kreuzberger Trödelladen wird die Abgrenzung zur Galeriesituation besonders deutlich. Was man nicht entdecken muss, fällt eben auch nicht auf. Umgekehrt wird das unerwartet Gefundene zum Empfundenen - durch geschickte Objektwahl sehr assoziativer und identifikationsstiftender Elemente, etwa der "Familie" - hier auch als Präparat im Glas, ihre Mitglieder auf Fayence-Scherben eingebrannte Photographien - ein Sujet, das sich als roter Faden durch diese Serie zieht.

"Die Rituale der Vergangenheit sind ständig aktuell", sagt Schefferski. Nicht so jedoch ihre Lehren. Das Vertrauen in allgemeingültige historische Interpretationen ist dahin. Mit diesem Verlust von Geschichte als Stifter verbindlicher, systemkonformer Weltanschauungen geht ein Identitätsverlust einher, der sich in einer "tiefen Skepsis gegenüber der Erfahrung von Geschichte im ganzen" manifestiert. (4)

Schefferski versucht, die Verbindungen zwischen den Menschen und den von ihnen hinterlassenen Spuren in seinen subtilen Installationen diskret zu beleben. Umgekehrt proportional zum äußerlichen Gigantismus der öffentlich diskutierten Zentraldenkmäler werden seine Rauminstallationen dabei immer kleinteiliger. Die versteckte Schau im an sich schon originellen Kreuzberger Kieztrödel war noch in anderer Beziehung Auftakt: zur Ausstellungsreihe auf dem Gelände der ehemaligen "Faserstoff-Fabrik im brandenburgischen Fürstenberg, wo sich im vorvergangenen Jahr 40 internationale Künstler aufmachen sollten, ein "Denkmal der anderen Art" zu installieren.

Dass "andere" Denkmal-Ideen dringend nötig, aber noch längst nicht etabliert sind, zeigt der Streit um das geplante Holocaust-Mahnmal in Berlin. Das sich in der Politik nun über Jahre hinziehende Gerangel kommentiert Schefferski skeptisch, befürchtet er doch, dass ein verordnetes Zentral-Denkmal als Surrogat für die persönliche Auseinandersetzung dienen werde: "Erinnern ist nur als ein aktiver Akt möglich." (5)

Im Rahmen der "Biennale Balticum", die das Zentrum für zeitgenössische Kunst, Laznia, in Gdansk als eigenen Auftakt groß zelebrierte, kehrte Schefferski nun - nach dem Projekt in Warschau - also einmal mehr in sein Geburtsland zurück. Seine Beteiligung an der Ausstellung "Woher bist du?" in Form mehrerer mit Personenumrissen versehener Jacken am Garderobenhaken kam dabei mehr dem pflichtgemäßen Abgeben seiner künstlerischen Visitenkarte gleich. Schefferskis Hauptarbeit war wiederum - deplaziert. Zwei Monate lang begab er sich direkt in die touristische gute Stube der geschichtsträchtigen Stadt und suchte sich seine Nischen dort, wo die Reisegruppen aus Deutschland und Skandinavien eigentlich eher nach Bernstein und Goldwasser suchen.


Proletaryat, 1998, Details

In einem Antiquitätenladen in der Dluga hatte Schefferski seine Exponate, inzwischen vielfach nicht größer als Zigarettenschachteln, stilecht "in Kommission" gegeben. Drei Teile des alten 100-Zloty-Scheins prangten da eingefasst im winzigen Goldrahmen an der Wand und das familiäre Scherbengericht musste diesmal in Schnapsgläsern Platz finden.

Das Konzept wandert nun wieder nach Westen - "eine erfundene Geschichte der Schweiz" wird die Alpenrepublik heimsuchen - in Zeiten politischer Kontroversen über die Rolle der Alpenrepublik während des Zweiten Weltkrieges. Auch in dem Zürcher Buchladen, den sich Schefferski für sein dortiges Vorhaben ausgeguckt hat, wird die Inkognito-Kunst nicht angekündigt werden. Leider auch nicht der Titel, den sich Schefferski, angesichts der Verstrickungen Schweizer Kreditinstitute reichlich sarkastisch, auch bei Roberto Benigni geliehen haben könnte, der aber von einer alten Heilkräuterwerbung stammt: "Das Leben ist schön".


(1) Clewing, Ulrich: die tageszeitung, Berlin, vom 22.10.1997, darin: "Roland Schefferski versteckt ‘Ausgelöschte Bilder‘"

(2) Babias, Marius: Zitty 3/94. Darin: "Dunkelkammer der Erinnerung"

(3) Gillen, Eckhardt: "Transitraum der Erinnerung". Katalog zur Ausstellung "Schattensprung - 11 KünstlerInnen aus Berlin", Warschau 1994

(4) Hemken, Kai-Uwe: "Gedächtnisbilder" Reclam Verlag Leipzig 1996

(5) Volpert, Astrid: Berliner Zeitung vom 21.11.1997. Darin: "Ein Laden voller ausgelöschter Bilder"