November 25, 2013

Béla Faragó


Axel Feuß:
AUSSTELLUNGS-ERÖFFNUNG
"BÉLA FARAGÓ - WILLKOMMEN IM PARADIES"
Kirche Maria Magdalena, Buchschwabach, 3.11.2013, 10 Uhr 30 

Sehr verehrte Anwesende,
als ich Béla Faragó im Sommer 1999, also vor mehr als vierzehn Jahren kennen lernte, war er bereits seit über einem Jahrzehnt als gefragter und allseits anerkannter Kirchenrestaurator tätig und verfügte in seiner Eigenschaft als freier Künstler über ein beeindruckendes Werk an Gemälden und Zeichnungen. Wir bereiteten damals am Museum Ostdeutsche Galerie in Regensburg eine Einzelausstellung mit dem Künstler vor. Sie war der Anfang einer ansehnlichen Liste von Ausstellungen Béla Faragós unter anderem in Erlangen und Worms, in der Lorenzkirche in Nürnberg, der Surgical Academie in Rastatt, dem Domschatz- und Diözesanmuseum in Eichstätt, zahlreichen Ausstellungen in der Galerie Destillarta in Buchschwabach und 2007 mit der Ausstellung „Totentanz“ auch hier bei Ihnen in der Kirche Maria Magdalena. Ausstellungen im Stadttheater Fürth, im Krakauer Haus in Nürnberg, schließlich in Röthenbach an der Pegnitz, im Zentrum St. Paul in Nürnberg und im Jüdischen Kulturzentrum in Krakau folgten. Vor kurzem sind Béla Faragó und das Ehepaar Kreß von der Galerie Destillarta von einer Ausstellungseröffnung in Kielce in Polen zurück gekommen.

Der Liste von Ausstellungen schließt sich eine ebenso beeindruckende Reihe von Kunstpreisen an, unter denen mehrfach Preise der Nürnberger Nachrichten waren. Ich selbst habe das Glück, dass mir der Künstler über eineinhalb Jahrzehnte die Treue gehalten und mich mit Einladungen und Fotos seiner neuesten Werke versorgt hat, dass ich Ausstellungen von ihm in Nürnberg und Rastatt eröffnen durfte und dass sich nach einigen Jahren Pause unsere Freundschaft anlässlich des heutigen Ereignisses wie selbstverständlich erneuert hat, obwohl ich heute im Norden der Republik, in meiner Heimatstadt Flensburg lebe, von wo ich Ihnen beste Wünsche zum Gelingen der heutigen Ausstellung mitbringe.

Béla Faragó, das soll für diejenigen unter Ihnen, meine Damen und Herren, die ihn noch nicht kennen, nicht unerwähnt bleiben, kam 1980 aus Ungarn nach Deutschland und begann im selben Jahr sein Studium an der Kunstakademie in Nürnberg. 1981 bestand er die Aufnahmeprüfung an gleich drei großen deutschen Akademien in Düsseldorf, Karlsruhe und Stuttgart und entschied sich dann für ein Studium bei Georg Baselitz an der Kunstakademie in Karlsruhe und für ein Studium der Bildrestaurierung an der Akademie in Stuttgart. 1986 schloss er sein Studium in Nürnberg ab. Er war drei Jahre lang Dozent für Anatomie beim Bildungszentrum der Stadt Nürnberg und arbeitet seit 1987 freischaffend als Kirchenrestaurator sowie als Zeichner und Maler.

In der Ausstellung in der Ostdeutschen Galerie in Regensburg konnten wir seinerzeit noch große Ölbilder des Künstlers zeigen, in denen Schlittschuläufer und Boxkämpfer die physischen und ethischen Belastungsgrenzen des Sports aufzeigten, oder in denen offene oder versteckte Gewalt von Machtmenschen und sogenannten „Stützen der Gesellschaft“ das Thema waren. In einem in Worms geschaffenen Altarbild, das sich heute in einer Privatsammlung befindet, stehen Uniformierte in langen Ledermänteln im Vordergrund des Bildes, die eine protestierende Menschenmenge in Schach halten. Während des letzten Jahrzehnts ist Faragó jedoch vor allem als kritischer und teilweise satirischer Zeichner hervorgetreten, der neben den bereits erwähnten Themen und kritischen Betrachtungen zu unserer modernen Gesellschaft auch zahlreiche religiöse Stoffe wie Kreuzwegstationen, den Totentanz und die Sieben Todsünden in teilweise drastisch freizügigen Darstellungen und heute mit einem Zyklus von 34 kritischen und teilweise satirischen Zeichnungen zum Thema Kirche und Religion unter dem Thema „Willkommen im Paradies“ bearbeitet hat. Er ist dabei ausgesprochen häufig von Kirchengemeinden unter anderem in Worms, Nürnberg, Rednitzhembach, Röthenbach an der Pegnitz und hier bei Ihnen in Buchschwabach und von kirchlichen bzw. religiösen Institutionen wie dem Domschatz- und Diözesanmuseum in Eichstätt oder der Jüdischen Stiftung in Krakau eingeladen worden.

Manche von Ihnen, meine Damen und Herren, werden sich fragen, was kritische und satirische Themen, Darstellungen von Gewalt und offener Sexualität überhaupt in kirchlichen Räumen zu suchen haben; denn nicht immer stoßen Faragós Zumutungen an die Betrachter auf Wohlwollen. Seine Allegorie der Wolllust in dem Bildzyklus über die Sieben Todsünden erregte im März 2010 aufgrund der offenen Darstellung von Sexualität Unmut in einer Gemeinde in Erlangen, woraufhin das betreffende Bild zumindest während des Gottesdienstes verhängt werden musste. Um zu einer Antwort auf diese Frage zu kommen, möchte ich die Frage erweitern: Was haben Bilder überhaupt in Kirchenräumen zu suchen?

Richtig, sie dienen dem Schmuck der Kirche, der Einkehr und der inneren Andacht. Im Mittelalter jedoch, einer Zeit, aus der viele unserer kostbarsten Zeugnisse christlicher Kunst stammen, dienten die großen Wandelaltäre mit ihren gemalten und geschnitzten Bildzyklen, die zahlreichen Altäre in den Seitenkapellen der Kirchen, die Kreuzwege und die Bilder von Märtyrern und Heiligen ebenso wie die großen farbigen Kirchenfenster der christlichen Unterweisung der einfachen Menschen, die weder lesen noch schreiben konnten, die keinen Zugang zum Bibeltext hatten, weil dieser auf Lateinisch geschrieben war und die auch weite Teile der lateinischen Liturgie nicht verstehen konnten. Bilder waren Kommunikationsmittel, um die christliche Botschaft und die Heiligenlegenden an das einfache Volk zu vermitteln. Mit Martin Luther, der gegen den Ablasshandel wetterte, die Bibel ins Deutsche übersetzte und die Deutsche Messe einführte, hielt die Kritik an der Kirche auch Einzug in die Kunst, wurden die bildlichen Darstellungen drastischer. Hans Holbein der Jüngere aus Augsburg zeichnete Papst Klemens, wie er über einer Versammlung von Ablasshändlern thront. Meister Dürer aus Nürnberg, der kurz zuvor noch geschrieben hatte, dass „die Kunst allein der Kirche gehöre“, zeichnete 1514 das Bildnis seiner Mutter, das durch die drastische Darstellung des Alters zu einem der anrührendsten Werke der deutschen Kunst geworden ist, aber auch den Kopf eines Apostels für den Heller-Altar, bei dem er durch die tiefe Hässlichkeit eines alten Mannes aus dem Volk das Leben der einfachen Leute in die christliche Kunst zu holen suchte.

Denken Sie an die Monster und Dämonen, die auf dem Isenheimer Altar des aus Würzburg stammenden Malers Matthias Grünewald den heiligen Antonius quälen, an den von Hans Holbein  dem Älteren gemalten Leichnam Christi im Grabe, der wie auf dem Steintisch eines Leichenschauhauses daliegt, an die brutalen und in Gemeinheit verzerrten Gesichter der Henkersknechte und der sich mit ihnen verbündenden einfachen Leute aus dem Volk auf den zahlreichen Altartafeln der Dürer- und Luther-Zeit, die die Verspottung, die Geißelung, die Dornenkrönung und die Kreuztragung Christi zum Inhalt haben - alles Motive, die die Gläubigen der Zeit zutiefst erschreckt und verstört haben dürften. Diese Bilder der Meister aus Franken, Altbayern und vom Niederrhein, die wir uns bei einem Gang in die entsprechenden Abteilungen des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg wieder vor Augen führen können, dienten nicht der Einkehr und der inneren Andacht sondern der dringlichen Ermahnung, die Gründe für das Leiden Christi auch um uns herum, im Alltag der Herrschenden ebenso wie im täglichen Leben der einfachen Leute zu suchen und zu finden.

Vollständige Nacktheit von einzelnen großen Figuren und ganzen Figurengruppen führte ab 1520 der aus Kronach stammende Maler Lukas Cranach bei seinen berühmt gewordenen Bildern „Venus und Amor als Honigdieb“ (ebenfalls im Germanischen Nationalmuseum) und „Das Ende des silbernen Zeitalters“ (in der Nationalgalerie in London) ein. Ab 1600 wird das Nackte für fast zweihundert Jahre zum eigentlichen Skandalthema in der Kunst. In Darstellungen des Höllensturzes und der Sintflut und bei der Figur des Heiligen Sebastian können die Maler fast vollständige Nacktheit auch in christlichen Themen einführen. Gerade die großen Künstler wie Lorenzo Bernini oder Giovanni Battista Tiepolo, der Maler der Würzburger Residenz, ließen sich von skandalträchtigen Darstellungen nicht abhalten, worauf die Öffentlichkeit entsprechend reagierte. Erst um 1800 war mit der Romantik und den frommen Malern aus dem Kreis der Nazarener Schluss mit allen Skandalen. Seitdem sind christliche Darstellungen im Ausdruck verhalten, züchtig und verhüllt - ein radikaler Wandel im Zeitgeschmack, der sich bis heute in unserer Auffassung von kirchlicher Malerei erhalten hat. Statt dessen entwickelten sich in England außerhalb von Kirche, Staat und fürstlichen Auftraggebern Ende des 18. Jahrhunderts Formen der kritischen Zeichnung und der Karikatur, die das ganze 19. Jahrhundert hindurch lebendig blieben. Um 1900 füllten sie in satirischen Zeitschriften wie der „Jugend“ und dem „Simplicissimus“ ganze Jahrgangsbände und haben sich bis heute in ihrer Form ebenfalls kaum verändert.

Béla Faragó, meine Damen und Herren, kennt sich in der Kunstgeschichte zu gut aus, als dass er sich auf bestimmte Vorbilder festlegen ließe. Früh hat er seinen eigenen Stil gefunden und auch Einflüsse von zeitgenössischen Künstlern wie Georg Baselitz und Francis Bacon hinter sich gelassen. Gleichwohl greift er in der Drastik seiner Darstellung Traditionen der Malerei seit der Renaissance auf, erinnert sogar im kleineren Format seiner Zeichnungen im nervösen Zeichenstil und der Leichtigkeit der Komposition an Meister des 18. Jahrhunderts wie Tiepolo und Francesco Guardi, dessen Vater Giovanni Antonio Guardi er besonders schätzt. Nicht nur durch sein Kunststudium und seine Tätigkeit als Restaurator von Deckengemälden der großen Meister, sondern vor allem durch sein Talent war er seit jeher in der Lage, jedes Tier, jede Figur und jede Komposition ohne Vorlage und frei aus der Erinnerung zu zeichnen.

Sein neuer Zyklus zum Thema Religion und Glauben mit dem Titel „Willkommen im Paradies“  fügt sich nahtlos in die Reihe von Ausstellungen des Künstlers in kirchlichen Räumen ein, wo Gemeinden dem kritischen Blick auf Gesellschaft und Religion offen gegenüberstehen - auch wenn sie wissen, dass man Zustimmung zu jedem einzelnen Bild natürlich nicht einfordern kann. Der Künstler hat das Thema Religion und Glauben nicht enzyklopädisch abgearbeitet, sondern sich auf spontane Eingebungen und gemachte Erfahrungen verlassen. Angesichts der aktuell in den Medien geführten Diskussion über den Zustand von Kirche, Religion und Glauben hätten wir ganz andere satirische Bilder erwarten können. Doch der Künstler hat sich von der Tagesaktualität frei gemacht und führt uns in seine eigene Gedanken- und Erfahrungswelt ein, die nicht ausschließlich kritisch ist, sondern häufig nur die Vielfalt der Erscheinungen, die eigenartige, bunte Welt des Religiösen beschreibt.

Faragós „Paradies“ (Sie sehen einen Ausschnitt auf der Einladungskarte), das ist im klassischen Sinn ein blühender Garten mit Bäumen, Früchten, dem Lebensbaum und dem Baum der Erkenntnis, so wie ihn schon Fra Angelico und Hieronymus Bosch gesehen haben. Tiere, die sich sonst bekämpfen, Giraffe und Schlange, Hirsch und Löwe, Kuh und Dinosaurier, vergnügen sich friedlich miteinander. Doch jetzt bekommt die Szene Faragós Zuschnitt: auch Religionen, die sich sonst feindlich gegenüber stehen, versöhnen sich im Paradies. Ein Bischof und ein Mullah reichen sich als Zeichen der Verbundenheit gegenseitig ihre Herzen (auf der Einladungskarte sehen sie das links unten), tanzen gemeinsam mit ihrem jüdischen Amtsbruder einen fröhlichen Reigen und legen dann zusammen eine friedliche Ruhezeit ein. Die Bäume hängen voller Braten, Geldscheine, Bildschirme und Automobile und repräsentieren so die am Konsum orientierte neuzeitliche Auffassung von Paradies.

„Endlich ein Wegweiser“ stellt der Künstler auf einem anderen Blatt fest und zeigt einen Religionsführer, der mit ausgebreiteten Armen eine diffuse Masse von Gläubigen in unterschiedliche Richtungen schickt. Jeder Angehörige einer Religion würde dies weit von sich weisen. Doch Faragó lässt offen, um welchen Propheten es sich hier handelt, denn „Jeder denkt, er hat die beste Religion“, und deren Vertreter bewegen sich auf einem anderen Bild in unterschiedlichem Kostüm und auf unsicheren Stelzen in verschiedene Richtungen. Bei diesen Blättern wird deutlich, was die kritische Zeichnung, die sich in enger Beziehung zur Karikatur bewegt, leistet: Sie bezieht Stellung, aber sie indoktriniert nicht. Sie regt zur Auseinandersetzung an, aber stellt nicht bloß. Sie erregt Zustimmung oder Widerspruch und eröffnet damit die Diskussion.

Eher in den Bereich von Karikatur und Zeitkritik gehören Blätter, in denen Manager den Gott Mammon, ein aus Geldscheinen gebildetes Götzenbild, an Stricken durch die Welt ziehen, von denen sie selbst erwürgt werden. Hier wird nicht Religion kritisiert; sondern Geldsucht und Gier werden als neue Form der Religion aufs Korn genommen. Andere rutschen auf Knien in religiöser Wallfahrt dem Automobil als neuem „Gottesersatz“ entgegen. Prozessionen, eben noch als Ritual für die Verehrung neuzeitlicher Konsumgüter umgedeutet, interessieren den Künstler auch in ihrer ursprünglichen Form. Extreme Erscheinungen fand er in einer Pilgerfahrt der indianischen Bevölkerung der peruanischen Anden und im spanischen Sevilla, wo ihn die Umzüge der mit Kutten und Kapuzen verhüllten Mitglieder religiöser Orden faszinierten. Parallelen zu verhüllten Gläubigen sah der Künstler auch in anderen Kulturen, bei vermummten islamischen Gotteskämpfern ebenso wie bei Anhängern des Klu-Klux-Klans, die sich mit Kutten und Kapuzen vor brennenden Kreuzen versammeln.

Zustandsbeschreibung oder Zivilisationskritik? Faragós „Krippenbilder“ aus Afrika, Nordamerika und Europa zeigen, wie verschiedene Kulturen ihr religiöses Weltbild der eigenen Wirklichkeit anpassen. Im Fall von Europa sind nicht nur das Jesuskind sondern auch andere Details der Krippenszene durch Symbole des Konsums wie Autos, Kreditkarten und Computer ersetzt. „Karikaturen“, so schrieb der berühmte Kulturhistoriker Aby Warburg am Anfang des 20. Jahrhunderts, „sind Auffangsorgane des inneren und äußeren Lebens.“ Dies gilt für Faragós kritische oder auch nur überspitzt beschreibende Zeichnungen des Religiösen, in denen sich Volksfrömmigkeit, Glaubenswahrheit und Zivilisationskritik mischen, ebenso. Auch dieser Zyklus von Zeichnungen zu Religion und Glauben enthält Zumutungen an den Betrachter, die die Grenze des Zumutbaren gelegentlich absichtlich überschreiten. Aber schauen Sie selbst, meine Damen und Herren. An einigen Bildern werden sicher auch Sie Ihre helle Freude haben.