June 13, 2014

Herbert Marxen


Ausstellung
POLITISCH INKORREKT - 
DER FLENSBURGER KARIKATURIST HERBERT MARXEN (1900-1954)
Museumsberg Flensburg, 18.5.-7.9.2014

Katalog: 60 Seiten, 88 Abbildungen, 14,90 Euro
zu bestellen bei:
http://www.museumsberg-flensburg.de/shop-uebersicht.html

 

















Axel Feuß:
Ausstellungseröffnung 
POLITISCH INKORREKT - 
DER FLENSBURGER KARIKATURIST HERBERT MARXEN (1900-1954) 
Museumsberg Flensburg, 18. Mai 2014, 11.30 Uhr

Sehr verehrte Freunde der Kunst und des Museums,

Der Flensburger Karikaturist Herbert Marxen gehörte zwischen 1928 und 1932 zu den wichtigsten fünf Zeichnern der deutschen Karikaturen-Szene. Vergleichbar ist er von der künstlerischen Bedeutung her und angesichts der Menge der in diesem Zeitraum veröffentlichten Zeichnungen mit jenen Künstlern, die schon seit Jahrzehnten in diesem Genre arbeiteten: Eduard Thöny, Thomas Theodor Heine, Olaf Gulbransson und Karl Arnold. Sie alle sind jedoch eine Generation älter als Marxen, zwischen 1866 und 1883 geboren, und damit die älteren Herren in diesem Genre. Als Marxen öffentlich in Erscheinung tritt, kann er mit seinen achtundzwanzig Jahren also ohne Übertreibung als aufgehender Stern in der Karikaturen- Szene gelten. Bald nachdem seine ersten Zeichnungen in der Münchner Zeitschrift „Jugend“ erschienen sind, bittet ihn daher die Redaktion, von Flensburg nach München umzuziehen, um dort als fester künstlerischer Mitarbeiter tätig zu werden. Karl Arnold, so erfahren wir aus einem Brief, schätze seine Arbeiten sehr.

Herbert Marxen, München 1931

Warum, so werden sich viele von Ihnen fragen, ist er dann heute kaum über den engeren Kreis seiner Heimat hinaus bekannt? Warum hat er nicht die große Karriere gemacht, die wir ihm 1928 vorausgesagt hätten? Herbert Marxen teilt dieses Schicksal mit einer ganzen Generation von Künstlern, die in Büchern und Ausstellungen als die „Verschollene Generation“ bezeichnet worden ist. Das sind jene Künstlerinnen und Künstler, die um 1900 in Deutschland geboren wurden, die während der Weimarer Republik ihre ersten Erfolge feierten, dann von den Nationalsozialisten in ihrem Fortkommen behindert oder sogar verfolgt wurden, die zwei Weltkriege durchlebt haben, deren Kunst während ihrer Lebenszeit niemals in einem Ausstellungskatalog publiziert wurde und die nach dem Zweiten Weltkrieg erleben mussten, dass die internationale Kunst sich zwei Jahrzehnte lang in New York und Paris ohne den Einfluss Deutschlands weiter entwickelt hatte. Es ist jene Generation von Künstlern, denen wir den kulturellen Reichtum der „Goldenen Zwanziger Jahre“ verdanken und von denen nach 1945 keiner mehr sprach. Schauen wir in die Nachlässe dieser Generation, so finden wir Künstlerinnen und Künstler mit großartigen, berührenden Werken, aber auch mit Lebensläufen und Schicksalen, die eng mit der deutschen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts verbunden sind. Zu ihnen gehört Herbert Marxen.

Marxen ist in Flensburg geboren und aufgewachsen, hat in Engelsby die Volksschule besucht und danach an der Kunstgewerblichen Fachschule studiert, die im Dachgeschoss des Museums untergebracht war. Die dort übliche Ausbildung zum Kunsttischler und Bildschnitzer konnte er aus gesundheitlichen Gründen nicht absolvieren. Aber er besuchte den Unterricht im Zeichnen nach der Natur, im kunstgewerblichen, technisch-geometrischen und Schrift-Zeichnen sowie in Formenlehre. 1921 wechselte er an die Kunstgewerbeschule in Hamburg, kehrte aber bald wieder nach Flensburg zurück. 

Herbert Marxen: Kleine Stadt am Abend, um 1922
Holzschnitt, 23 x 13,5 cm, Museumsberg Flensburg

Herbert Marxen: Liebespaar im Garten, um 1922
Holzschnitt, 21 x 10 cm, Museumsberg Flensburg

Seine Holzschnitte aus dieser Zeit drehen sich, das ist für einen jungen Mann nicht ungewöhnlich, um das Leben in der Kleinstadt und um Liebe und Sexualität. Aus der Vogelperspektive blickt er in die Mauern der Stadt und sieht Paaren in freier Natur beim Liebesakt zu. Man fühlt sich an Szenen von Marc Chagall aus dem fernen Russland, an Holzschnitte von Heinrich Campendonk, Franz Marc oder Gabriele Münter erinnert. Woher diese Einflüsse kommen, ist unbekannt. Illustrationen dieser Künstler erschienen durchgehend in der seit 1910 von Herwarth Walden in Berlin herausgegebenen Zeitschrift „Der Sturm“. Marxen hat diese Zeitschrift vermutlich an der Kunstgewerbeschule in Hamburg gesehen. Schon bei diesen frühen Arbeiten wird sein Interesse für das Groteske und gelegentlich auch Entlarvende sichtbar.

Herbert Marxen: Plakat für die Nordmarktage in Flensburg, 1922
Lithographie, 77,4 x 52,8 cm, Museumsberg Flensburg

Im Frühjahr 1922 wird Marxen auf Empfehlung des Museumsdirektors Walter Dammann mit dem Plakatentwurf für die Flensburger „Nordmarktage“ beauftragt, die im Juni wie im Jahr zuvor auf dem Mürwiker Sportplatz stattfinden sollen. Marxens Plakat, das das blaue Band der Förde mit einem Segelboot, darüber ein Festzelt, ein hübsches Fördemädchen, einen stilisierten roten Baum und daneben einen Reiter mit einem Posthorn zeigt, wird vom Festausschuss begeistert aufgenommen. Beim Publikum und bei der Presse fällt es jedoch komplett durch. Schlimmer noch: Deutsch-nationale Kreise entfachen mit redaktionellen Beiträgen und Leserbriefen eine Pressekampagne, während der der Künstler verhöhnt wird und die mit zahlreichen Artikeln bis zum September des Jahres anhält. Während Marxen sich bei der Gestaltung an modernen Kompositionsprinzipien von Chagall, Kandinsky und Marc orientiert hatte, war man in der Bevölkerung gerade in der Plakatkunst den ganzen Ersten Weltkrieg hindurch an realistische Motive und an Hurrapatriotismus gewöhnt. Marxens Modernismus, Expressionismus und Primitivismus, so war in der Presse zu lesen, hätte jedoch der deutschen Sache nur geschadet; denn um das Hochhalten der preußischen Traditionen in Schleswig-Holstein und gegen den Einfluss der Dänen ging es bei den „Nordmarktagen“.

Herbert Marxen: Sachsen in Italien (Der Mandolinenspieler), um 1926
Bleistift, Feder, 50 x 32 cm, Museumsberg Flensburg

Herbert Marxen: ohne Titel (Tourist in Taormina), um 1926
Feder, Tuschpinsel, 45,7 x 30 cm, Museumsberg Flensburg 

In den folgenden Jahren hält Marxen sich mit kleineren Werbeaufträgen von Flensburger Firmen über Wasser. 1924 beschließt er, noch einmal zu studieren. Er geht nach München, hält es dort aber nur für die Dauer eines Aktzeichenkurses aus und reist dann weiter nach Italien. Während mehrerer Wochen wandert er durch die Romagna und an die Adriaküste, erkundet Rom, besucht Neapel, die Insel Capri, Sorrent und Amalfi und gelangt bis nach Taormina auf Sizilien. Wenn er nicht schon vorher Karikaturen gezeichnet hat, so beginnt er in Italien, seinen Blick für amüsante Situationen, für das Hintergründige und das menschlich Groteske zu schärfen. Vor allem nimmt er die Touristen aus Deutschland aufs Korn. Unter dem Motto „Sachsen in Italien“ schmachtet eine füllige Dame mit Bubikopf einen italienischen Mandolinenspieler an. Prototyp aber ist der deutsche Spießbürger mit Hut und Stock, Zigarrenspitze, Anzug, Krawatte und Mantel, den der Künstler vor den Berghängen von Taormina porträtiert, dem wir in zahlreichen anderen Karikaturen aber auch in einer Reisegruppe auf dem Forum Romanum oder an der Italienischen Riviera begegnen. 

Herbert Marxen: Odysseus und Penelope 
(aus der Folge "Klassische Grotesken"), um 1927
Feder, 50 x 32,5 cm, Museumsberg Flensburg

 Herbert Marxen: Das homerische Lachen
(aus der Folge "Klassische Grotesken"), um 1927
Feder, 50 x 32,5 cm, Museumsberg Flensburg

In einer umfangreichen Serie von „Klassischen Grotesken“ persifliert er in großzügigen karikaturhaft übersteigerten Umrisszeichnungen Szenen aus den Sagen des klassischen Altertums, aus der „Ilias“ und der „Odyssee“, in denen muskulös gebaute Krieger und liebevoll umarmte füllige Griechinnen die Hauptrolle spielen, bei denen dem Betrachter aber auch das breit und mit gebleckten Zähnen gezeichnete Lachen Homers im Halse stecken bleibt.

Herbert Marxen: Straße im Dämmerlicht, 1925
Öl auf Leinwand, 53 x 44 cm, Museumsberg Flensburg

Herbert Marxen: Beerdigung in Flensburg-Adelby, 1934
Bleistift, Feder, Tuschpinsel, Kreide, aquarelliert, 79,6 x 48,2 cm
Museumsberg Flensburg

1925 kehrt Marxen nach Flensburg zurück, weil sein Stiefvater gestorben ist und er sich jetzt um seine mittellose Mutter kümmern muss. Während er wieder von Werbeaufträgen lebt, spezialisiert er sich in seiner freien Kunst weiter auf die satirische Zeichnung und die Karikatur. Vielleicht die bitteren Erfahrungen mit dem Nordmark-Plakat, sicher aber die bedrückende Armut seit der Rückkehr nach Flensburg veranlassen ihn, hinter die Fassaden zu blicken, das Abgründige im Leben offenzulegen und auch die eigene Existenz immer wieder mit tiefgründigem Humor zu befragen. Hauptmotiv seines ersten Gemäldes in dieser Zeit, „Straße im Dämmerlicht“, sind die erleuchteten Fenster, hinter denen sich Kleinstadtleben im Verborgenen abspielt. Die Trauernden bei der „Beerdigung in Adelby“ begleitet der Künstler so weit mit spitzem Stift, dass der Betrachter Menschentypen und Verhaltensmuster als charakteristisch wiedererkennt.

Herbert Marxen: Sternhagelvoll, um 1929
(aus der Serie: "Der Landurlaub des Bootsmanns Anton Christiansen")
Feder, 50 x 32,5 cm, Museumsberg Flensburg
 
 
Herbert Marxen: Stammtischpolitiker, 1929
Feder, Tuschpinsel, 45,5 x 32,5 cm, Museumsberg Flensburg

Durch Vermittlung eines Cousins, der in Wyk auf Föhr ein Café betreibt, lernt Marxen 1928 den Schriftsteller Karl Kinndt kennen, der für die Berliner Satirezeitschriften „Ulk“ und „Simplicissimus“ arbeitet und auch gute Beziehungen zur Zeitschrift „Jugend“ in München unterhält. Mit Empfehlungsschreiben und einer Auswahlsendung an Zeichnungen stellt dieser Herbert Marxen als Karikaturisten vor. Der „Ulk“ und der „Simplicissmus“ veröffentlichen einige seiner satirischen Alltagsszenen, darunter den betrunkenen Seemann vom Flensburger Hafen. Größeren Erfolg hat Marxen bei der Münchner Unterhaltungszeitschrift „Jugend“. Vor allem seine Gesellschaftssatiren wie das Blatt „Stammtischpolitiker“ werden begeistert aufgenommen. Ab 1929 erscheinen seine Karikaturen dort regelmäßig. Bald bittet ihn die Redaktion, nach München zu ziehen, damit er schneller auf Tagesereignisse reagieren kann. Ab Juni 1930 arbeitet er dort als künstlerischer Mitarbeiter und wird zum meist beschäftigten Zeichner der „Jugend“. 

Herbert Marxen: Pompeji, um 1932
Bleistift, Feder, aquarelliert, 46,5 x 45,1 cm, Museumsberg Flensburg

 
Herbert Marxen: Im Fasching, im Fasching .... Stürmische Conferenz, um 1931
Feder, Tuschpinsel, 49,7 x 32.5 cm, Museumsberg Flensburg

Beliebt sind seine Satiren auf die deutschen Touristen in Italien, auf Münchner Szenen, von Fasching und Aschermittwoch und aus den Seebädern an der Nordsee. 

Herbert Marxen: Dempsey verlässt ‚knock out‘ den Ehering, 1931
Feder, Tuschpinsel, aquarelliert, 48,3 x 48,5 cm, Museumsberg Flensburg 
 
 
Herbert Marxen: Der neue Planet in Erdennähe, 1931
Feder, Tuschpinsel, laviert und aquarelliert, 47 x 47,5 cm, Museumsberg Flensburg

Andere Karikaturen sind tagesaktuell, wie etwa „Dempsey verlässt ‚knock out‘ den Ehering“, das mit der Bildunterschrift erscheint: „Die grausame Frau Dempsey: In dem Kampfe zwischen Jack Dempsey und seiner Gattin, der über 30 Runden gehen sollte, flüchtete der Ex-Boxweltmeister aus dem Ring. Er soll die Absicht haben, sich scheiden zu lassen!“ Oder aber eine Karikatur auf einen Asteroiden, der auf den Namen „Eros“, den griechischen Gott der Liebe, getauft worden war. Zu Marxens Kaffeekränzchen mit älteren Damen dichtete die Redaktion: „Freut Euch, Mädchen, Eros nähert sich der Erde!“ 

Herbert Marxen: Der Herrenreiter, um 1930
Feder, Tuschpinsel, aquarelliert, 49,8 x 32,2 cm, Museumsberg Flensburg

Herbert Marxen: Ministerzusammenkünfte, 1931
Feder, Tuschpinsel, aquarelliert, 60,6 x 45,8 cm, Museumsberg Flensburg

Auch im zweiten bedeutenden Fach der Karikatur, den Zeichnungen auf politische Ereignisse und auf Personen der Zeitgeschichte brilliert Herbert Marxen. Zielscheibe seines Spotts sind die jeweiligen Regierungskabinette. Er zeichnet den sozialdemokratischen Reichskanzler Hermann Müller als Herrenreiter und das mit Notverordnungen regierende Kabinett von Reichskanzler Heinrich Brüning, das seine Ministerzusammenkünfte auf dem sinkenden Schiff der Reichsregierung abhält. Wir erkennen deutlich, dass es zwar notwendig ist, zum genauen Verständnis der Blätter die historischen Hintergründe zu kennen. Karikaturen auf heutige Kanzler und Kanzlerinnen oder gescheiterte Kabinette könnten aber durchaus ähnlich ausfallen. Damit sind Marxens Karikaturen einerseits Dokumente der Zeitgeschichte, für die Gattung der Karikatur aber auch graphisch, künstlerisch und in ihrer ironischen Zuspitzung zeitlos verständliche wunderbare Kunstwerke.

Herbert Marxen: Richard Tauber, um 1931
Feder, Tuschpinsel, 46,5 x 30 cm, Museumsberg Flensburg

Herbert Marxen: Die Verstoßung der Hagar (Böß verlangt 28.000 RM Pension), 1930
Feder, Tuschpinsel, 49,8 x 32,5 cm, Museumsberg Flensburg

Nicht weniger bedeutend sind seine Karikaturen auf Persönlichkeiten der Zeitgeschichte, unter denen Angehörige des Hochadels wie Kaiser Wilhelm II. im Exil, Geistesgrößen wie Gerhart Hauptman und Albert Einstein, Künstler wie der österreichische Tenor Richard Tauber oder Skandalpolitiker wie der Berliner Oberbürgermeister Gustav Böß sind, der von zwei Betrügern einen Pelzmantel für seine Frau angenommen hatte und, als man ihn deshalb aus dem Amt warf, obendrauf eine Pension von 28.000 Reichsmark pro Monat forderte. Marxen zeichnet ihn hier unter dem Titel „Die Verstoßung der Hagar“ im Pelzmantel seiner Frau, während das Kind zu seinen Füßen die Reichsmark in den Popo hineingeschoben bekommt - ein Schelm, dem ähnliche Geschichten zu welchen auch immer heute lebenden Personen des öffentlichen Lebens einfallen sollten. 
 
Herbert Marxen: Dr. Goebbels in Nöten, in: Jugend, Jg. 36, 1931, Heft 15, S. 228

Herbert Marxen: Kinderhakenkreuzzug, in: Jugend, Jg. 36, 1931, Heft 46, S. 729

Marxen zeichnete 1930 und 1931 aber nicht nur Karikaturen auf die jeweiligen Reichsregierungen, sondern auch auf die Nationalsozialisten. Diese Zeichnungen sind heute nicht mehr im Original erhalten, sondern nur noch von Abbildungen bekannt und daher auch nicht in dieser Ausstellung zu sehen. Es waren Karikaturen auf politische Schachzüge Adolf Hitlers, auf einfache SA-Männer, die vor der Parteizentrale der NSDAP in München Wache schoben oder auf Josef Goebbels, der in Nöten auf der Toilette gezeigt wird. Dabei deutet Marxen die deutlich hörbaren Toilettengeräusche und die Kordel der Toilettenspülung auf die politischen Ereignisse um: „Nebenan eine Detonation - hier eine Zündschnur - ich gehe doch lieber ins Freie“. In einer Karikatur auf die Hitlerjugend lässt Marxen Kinder vom Säugling bis zum Nase bohrenden Jugendlichen hinter einem Hakenkreuz her marschieren und dichtet dazu: „An ihren Früchtchen sollt Ihr sie erkennen.“ 

Herbert Marxen: Im Museum, 1931
Feder, Tuschpinsel, 50,1 x 31,9 cm, Museumsberg Flensburg
Erschienen in der Zeitschrift Jugend, Jg. 36, Heft 13, 1931, S. 201: 
Anerkennung – "So, so, 'n Herr Praxiteles hat det jemacht? Hätte 'nem Juden so wat nich zujetraut!"

In der einzigen im Original erhaltenen Karikatur auf die Nazi-Ideologie, die auch in unserer Ausstellung zu sehen ist, zeigt Marxen den durch das Fehlen jeglicher Allgemeinbildung charakterisierten deutschen Spießer beim Besuch einer Antikensammlung, wie er vor einer Skulptur des griechischen Bildhauers Praxiteles zu dem Schluss kommt: „So, so, 'n Herr Praxiteles hat det jemacht? Hätte 'nem Juden so wat nicht zujetraut.“ Es waren ein halbes Dutzend Karikaturen auf die Nazis in der Zeitschrift „Jugend“, die dem Künstler Jahre später zum Verhängnis werden sollten. Insgesamt veröffentlichte die Jugend bis zum September 1931 einhundertzwanzig Karikaturen von Herbert Marxen. Als die Zeitschrift in finanzielle Not geriet, ging er nach Flensburg zurück. Er konnte aber bis zur vorübergehenden Einstellung des Blattes noch weitere sechzig Blätter veröffentlichen. 

Herbert Marxen: Manöver im Pazifik, um 1936
Feder, Tuschpinsel, laviert, 52,6 x 39,8 cm, Museumsberg Flensburg

Herbert Marxen: Im Lande des Mikado, um 1936
Feder, Tuschpinsel, aquarelliert, 49 x 45,7 cm, Museumsberg Flensburg

Seit seiner Rückkehr nach Flensburg lebt Marxen unauffällig und zurückgezogen und ernährt sich von Werbeaufträgen. Spätestens seit der sogenannten „Machtergreifung“ und der Gleichschaltung aller Publikationsorgane und öffentlichen Gesellschaften 1933 war es einem für die politischen Ereignisse äußerst sensiblen Menschen wie Marxen sicher klar, dass jede politische Äußerung extreme Gefahr bedeuten konnte. Dennoch zeichnete er 1936 eine beeindruckende Folge von Karikaturen auf den japanischen Militarismus, die jedoch, obwohl sie öffentlich gezeigt wurden, nicht als satirisch erkannt wurden (Japan unterhielt schon zu diesem Zeitpunkt enge politische Beziehungen zum Nazireich). Als im Herbst 1937 in München Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen gegen den aktuellen Chefredakteur der Zeitschrift „Jugend“, Arnold Weiss-Rüthel, vorgenommen werden, wird es auch für Marxen gefährlich. Ein halbes Jahr später, im Juni 1938 stehen zwei Beamte der Gestapo vor der Tür von Marxens Atelier auf dem Holm. Sie durchsuchen die Räume und beschlagnahmen rund zweihundert Zeichnungen. Es sind wohl harmlose Gesellschaftssatiren, denn Zeichnungen auf politische Themen und Hitler-Karikaturen hat Marxen versteckt. In der Folge wird er aus der „Reichskammer der bildenden Künste“ ausgeschlossen und erhält Berufsverbot. Dann wird er auf die Flensburger Polizeidirektion zitiert. Er sei ein asoziales Element, wird ihm dort beschieden, und habe sich eine einfache Arbeit in einer Fabrik zu suchen. Marxen setzt sich jedoch über das Berufsverbot hinweg und nimmt eine Stelle als graphischer Zeichner in der Flensburger Druckerei Christian Wolff an. Nicht nur Marxen, auch seinem neuen Arbeitgeber kann man schon einiges an Rückgrat gegen die braunen Machthaber bescheinigen. Damit nicht genug. Mit immer neuen Eingaben kämpft Marxen gegen den Ausschluss aus der „Reichskammer der bildenden Künste“, wird 1941 wieder aufgenommen und darf ab sofort wieder künstlerisch arbeiten.

Herbert Marxen: So fing es an (Das große Wecken), nach 1945
(aus der Folge „Mein Dank an das Dritte Reich“)
Bleistift, aquarelliert, 36,4 x 25,4 cm, Museumsberg Flensburg

Herbert Marxen: Oberster Gewaltspießer, nach 1945
(aus der Folge „Mein Dank an das Dritte Reich“)
Bleistift, Kreide, aquarelliert, 29,4 x 20,7 cm, Museumsberg Flensburg

Nach Kriegsdienst, Kriegsgefangenschaft und dem Verlust seines Ateliers, das 1944 vom Flensburger Wohnungsamt für einen Angehörigen der SS beschlagnahmt worden war, muss Marxen, der inzwischen verheiratet ist und eine Tochter hat, von vorn anfangen. Ab 1948 bemühen sich er und seine Frau, die 1938 beschlagnahmten Karikaturen mit Hilfe von Ämtern in den verschiedenen Besatzungszonen wiederzufinden. Als dies erfolglos bleibt, beantragt Marxen eine finanzielle Wiedergutmachung, für die er schließlich vor dem Landgericht in Kiel prozessieren muss. Seine Wut auf den Nationalsozialismus verarbeitet er in dieser Zeit in über siebzig Karikaturen, in denen Hitler, Goebbels, die Nazi-Propaganda, die einfachen Parteimitglieder der NSDAP und die SS-Männer, aber auch Hitlers endgültige Höllenfahrt im Mittelpunkt stehen. Sie sind eine Abrechnung mit der Nazizeit, wie sie so von keinem anderen Künstler bekannt ist. Und sie belegen in ihrer Fülle und in ihrem Facettenreichtum, dass Herbert Marxen zu jedem Zeitpunkt bewusst war, was während der Nazizeit vor sich ging und wie die Diktatur funktionierte. Zu einem Zeitpunkt, als nach dem Zweiten Weltkrieg das große Vergessen begann und Naziverbrecher auch in Flensburg mit gefälschten Biographien untertauchen konnten, bezog er noch einmal Stellung.

Herbert Marxen: Hackenknallen üben, um 1949
Kreide, aquarelliert, 30,6 x 18,6 cm, Museumsberg Flensburg

Herbert Marxen: Das Gespenst, um 1949
Kreide, Farbstifte, aquarelliert, 27,3 x 24 cm, Museumsberg Flensburg

In Karikaturen, die unter anderem in der Düsseldorfer Zeitschrift „Der Deutsche Michel“ erschienen, nahm er die geplante „Wiederbewaffnung“ der neu gegründeten Bundesrepublik aufs Korn. Der ewige Militarist, der vor dem Spiegel wieder das Hackenknallen übt, sitzt schließlich auf dem Dach des Hauses „Bundesrepublik“, und durch den sommerlichen Strohhut bohrt sich die altbekannte Pickelhaube. Marxens Prozess um Wiedergutmachung zog sich jahrelang hin. Als 1954 zwei ehemalige Gestapo-Beamte, die an der Beschlagnahme-Aktion in seinem Atelier beteiligt gewesen waren, als Zeugen vor Gericht gehört werden sollten, erlitt der Künstler einen Schlaganfall und starb wenige Tage später. Seine Frau Hertha Marxen hat bis in die Achtzigerjahre seine Arbeiten publik gemacht und sie an Museen, Galerien und private Sammler verkauft. Ihrem Bemühen ist es zu verdanken, dass ein großer Teil davon ins Flensburger Museum gelangte und heute in dieser Ausstellung gezeigt werden kann. 

Copyright für alle Abbildungen nach Herbert Marxen: 
Dr. Julia Marxen, Hamburg